Saurer Käse
In der gar nicht mal so kleinen Gruppe schwäbischer Gerichte, die international höchstens vereinzelt bejubelt werden, rangiert Saurer Käse stabil auf den vorderen Plätzen. Der überschaubare Zuspruch mag zum Teil von der ungeschickten Betonung des Sauren herrühren, doch die hektischsten Abwinkbewegungen löst der verwendete Käse aus: in den meisten Fällen Limburger, gelegentlich sein enger Verwandter Romadur, die beide vom Volksmund auch hassliebevoll Stinkkäse genannt werden. Das Saure an dem Gericht ist eine Sauce vinaigrette, die über den Käse gegossen wird und sich mit seinem kräftig-würzigen Aroma aufs Prächtigste verbindet.
Der Käse
In seinem Film »Shoulder Arms« spielt Charlie Chaplin einen Rekruten im Ersten Weltkrieg, der an der Front Post aus der Heimat bekommt, die einen Laib Limburger enthält. Beim Öffnen des Päckchens droht er umzukippen, hat aber glücklicherweise seine Gasmaske zur Hand. Mangels anderer Verwendungsideen schleudert er den Käse wie eine Handgranate in den feindlichen deutschen Schützengraben und verpasst dem Gegner damit einen empfindlichen Schlag. Womit eindrucksvoll bewiesen wäre, dass der denkbar schlechte Ruf des Limburgers mindestens hundert Jahre alt und einem breiten Publikum auch ohne lange Erklärung geläufig ist.1
Zur Ehrenrettung des Käses halten wir zunächst fest, dass Geruch und Geschmack zwei verschiedene Dinge sind. Limburger zählt wie Romadur, Maroilles, Chaumes, Reblochon oder Munster zu den Rotschmiere-Weichkäsen, deren gemeinsames Merkmal ihr zugegeben aufdringlicher Geruch ist, während sie allesamt ausgesprochen delikat schmecken, sofern Sie vielschichtig-komplexe Käsearomen schätzen. Dass Limburger in Schwaben zu den alltäglichen Standardkäsen gehört, lässt sich auf eine einzige Quelle zurückführen. Um 1830 kehrte der Allgäuer Großbauer Carl Hirnbein von Studienaufenthalten in der Gegend um Limburg (in der heutigen belgischen Provinz Lüttich) zurück und begann, den dort kennengelernten Käse, der in Belgien Herve oder Remoudou heißt, im heimischen Betrieb zu produzieren. Trotz zweier mitgebrachter Fachkräfte waren die Ergebnisse zunächst enttäuschend, sodass Hirnbein mehrere Allgäuer Burschen ins Limburgische entsandte, damit sie sich vor Ort mit den Feinheiten vertraut machten. Irgendwann hatte man den Bogen raus und der produzierte Limburger stieß auf so große Nachfrage, dass er bald von praktisch jeder Allgäuer Käserei ins Programm genommen wurde. Heute wird Limburger auch an anderen Orten in Deutschland hergestellt, das Allgäu ist jedoch außerhalb Belgiens nach wie vor seine unangefochtene Hochburg.
Allgäuer Limburger wird mitunter als Backsteinkäse bezeichnet, weil er in ziegelförmigen Stangen von wahlweise 200 oder 500 Gramm gehandelt wird. Wenig überraschend schmeckt er mit zunehmender Reife immer kräftiger. Reife Exemplare sind elastisch, der Teig glänzt und weist unregelmäßige kleine Löcher auf, er ist durchgängig weich, fließt aber nicht. (Der aufgeschnittene Limburger auf dem Foto oben ist fast, aber noch nicht vollständig durchgereift, zu erkennen an den helleren und matteren Stellen im Inneren.) Misstrauen Sie Leuten, die empfehlen, den Käse zu »putzen«, sprich: seine Rotschmiere zu entfernen. Niemand käme auf die Idee, Weißschimmel vom Camembert zu schneiden oder Blauschimmel aus dem Roquefort zu zupfen, warum man das mit Rotschmiere anders halten sollte, erschließt sich mir beim besten Willen nicht.
Das Saure
Die Vinaigrette für den Sauren Käse fällt etwas essiglastiger aus als gewöhnlich, weil sie idealerweise mit einem kräftigen Schluck Wasser verdünnt wird, damit die Marinade leichter in den Käse dringt. Olivenöl ist bekanntermaßen nicht gerade schwäbisch, Sie sollten es dennoch verwenden, weil es so gut zum Limburger passt, dass man es erfinden müsste, wenn es nicht schon da wäre.
Immer dabei sind Zwiebeln, meistens in Streifen oder Ringe geschnitten. Sofern Sie den Käse samt Zwiebeln länger ziehen lassen möchten – was ihm bestens bekommt – verkneten Sie die geschnittenen Streifen mit ein wenig Salz, lassen sie fünf bis zehn Minuten stehen, brausen sie kurz mit kaltem Wasser ab und drücken sie aus. Die Zwiebeln sind jetzt weich und schmecken immer noch sehr zwiebelig, oxidieren aber nicht mehr.
Beim Anrichten bestreuen Sie den Sauren Käse am besten mit Schnittlauch oder dem Grünen von Frühlingszwiebeln und reichen ein möglichst dunkles Brot dazu. Erste Wahl zum Nachspülen ist Bier, traditionell wird auch gerne Apfelmost dazu serviert, der allerdings ungefähr soviel Toleranz wie der Limburger erfordert.
- 500 g Limburger
- 2 mittelgroße Zwiebeln
- 30 ml Sherry- oder Weißweinessig
- 60 ml Olivenöl
- 60 ml Wasser
- 1 TL scharfer Senf
- Salz, Pfeffer
- Frühlingszwiebeln (grüner Teil) oder Schnittlauch nach Belieben
Limburger quer in 5 mm dicke Scheiben schneiden und in flacher Schale auslegen.
Zwiebeln schälen, in feine Streifen schneiden, mit 1/2 TL Salz verkneten und 10 Minuten stehen lassen.
Derweil Senf mit Essig verrühren, Olivenöl zugießen und mit dem Schneebesen kräftig rühren, bis eine homogene, cremige Sauce entsteht. Wasser unterrühren, mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Die inzwischen weich gewordenen Zwiebeln kurz mit kaltem Wasser abbrausen, ausdrücken und auf den Käsescheiben verteilen.
Vinaigrette gleichmäßig über Käse gießen und mindestens zwei Stunden, gerne auch länger ziehen lassen.
Beim Anrichten optional mit Frühlingszwiebeln oder Schnittlauch bestreuen.
1 »Shoulder Arms« entstand 1918 und ist der erste Langfilm, bei dem Chaplin auch Regie führte. Er ist auf Youtube oder hier auf Wikimedia in voller Länge zu sehen, die Limburger-Szene beginnt bei 11:10.
Kontext
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4 Kommentare
Gabriele Tacke # 1 – 21.02.21, 17:26 Uhr
Ich mache es fast genauso, nur das mit den Zwiebeln ist ungewöhnlich! Ich mariniere den Käse mit Salz, Pfeffer, Essig, Zwiebeln und Kräutern mindestens 1-2 Stunden! Dann kommt das Öl dazu. Anschließend wird das ganze mit Schnittlauch garniert!
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Ralf Schmid # 1.1 – 21.02.21, 21:59 Uhr
Die Nummer mit den Zwiebeln ist so eine Angewohnheit von mir. Sauerstoff setzt geschnittenen rohen Zwiebeln übel zu, weshalb sie, je nach Sorte, früher oder später zu müffeln beginnen. Das Einsalzen schiebt der Oxidation einen Riegel vor. Genügend Marinade um sie herum wirkt als Schutzfilm, der den Kontakt zum Sauerstoff unterbindet und das Problem ebenfalls löst. Insofern ist Ihre Methode sicher genauso gut.
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Sandra # 2 – 09.01.23, 18:44 Uhr
Das mit den Zwiebeln ist der Hammer! Vielen Dank für den Tipp!
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Wolfgang Kischka # 3 – 07.11.23, 22:49 Uhr
Ganz hervorragend der Tipp zur Zubereitung der Zwiebeln. Ja nicht sparen, großartiger Effekt! & darf gerne 4 Stunden ziehen & länger. Dann auch etwas mehr von der Vinaigrette anrichten. Noch etwas frisch geschnittene rote Chili zum Schnittlauch & Lauchzwiebeln.
Geht auch gut zusammen mit Feldsalat & Wurzelbrot. Besten Dank dafür.
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