Schmoren

Ossobuco, Kalbsbeinscheiben im Schmortopf
Ganz schön was los im Schmortopf: Ossobuco (Kalbsbeinscheiben) und Gemüse

Vermutlich gibt es nur wenige Garverfahren, die so häufig in Metaphern zum Einsatz kommen wie das Schmoren: Der Todfeind soll in der Hölle schmoren, wen wir im Ungewissen halten möchten, den lassen wir schmoren und wer zur Eigenbrödelei neigt, der schmort im eigenen Saft. Während die beiden letztgenannten Redensarten halbwegs stimmig sind, führt die Vorstellung der Hölle als Schmorumgebung in die Irre, wie wir später noch sehen werden.

Allgemein gesprochen, wird das zu schmorende Lebensmittel zunächst angebraten, dann in Flüssigkeit gegart, und zwar in einem geschlossenen System. Auch Gemüse und Pilze können Sie schmoren, am spektakulärsten wirkt sich die Garmethode allerdings auf Fleisch und Geflügel aus. Falls Sie übrigens in der Küche gerne mit Lehnwörtern aus dem Französischen auftrumpfen, können Sie statt schmoren braisieren sagen (braiser = schmoren).

Geeignetes Fleisch

Am besten zum Schmoren eignen sich fetthaltige Fleischteile mit hohem Kollagenanteil. Beim Rind sind das beispielsweise der Nacken, die Fehl- und Hochrippe, der Bug (Schulter), die Brust und die Wade (Hesse, Hachse), auch Ochsenschwanz und Rinderbacken ergeben veritable Schmorgerichte. Mit anderen größeren Säugetieren (inklusive den wilden) verhält es sich tendenziell ähnlich, bei Hasen oder Geflügel empfehlen sich primär die Keulen, wobei nicht selten die ganzen Tiere im Schmortopf landen – am Stück oder zerteilt. Fisch zu schmoren geht ebenfalls, ergibt aber keinen Sinn, was klar werden wird, wenn wir uns anschauen, was beim Schmoren eigentlich passiert.

Das Operative

Sie braten Ihre Fleischstücke zunächst an, bis Sie rundum gut gebräunt sind und durch die einsetzende Maillard-Reaktion ordentlich Röstaromen entwickeln. Dann fügen Sie optional Gemüse und/oder Pilze bei und gießen Flüssigkeit an, bis alles etwa zu einem Viertel in ihr steht. Die Flüssigkeit kann Wasser sein, in aller Regel kommen aber Fonds und/oder Wein zum Einsatz. Jetzt legen Sie einen möglichst dicht schließenden Deckel auf den Topf und garen das Ganze bei geringer Hitze – die ideale Temperatur im Topf beträgt maximal 100 °C. Nach meiner Erfahrung erreichen Sie das beste Ergebnis, wenn Sie den Schmortopf bei 120 – 130 °C in den Backofen stellen, weil die Wärme dort gleichmäßig von allen Seiten einwirkt.1

Im Innern des Schmortopfs

Die verhaltene Temperatur veranlasst das »Schmelzen« des Kollagens im Bindegewebe zu Gelatine. Beides sind Proteine, Kollagen zäh und kaum zu zerkauen, Gelatine geschmeidig und äußerst bindefähig. Die Umwandlung findet sehr langsam statt, weswegen Schmorgerichte oft einige Stunden in Anspruch nehmen – wobei Sie nicht daneben stehen müssen und es auch nicht auf eine halbe Stunde mehr oder weniger ankommt. Am Ende haben Sie Fleisch, dessen Bindegewebe komplett aufgelöst ist, sodass Sie nicht mal mehr ein Messer zum Zerteilen benötigen – es zerfällt fast von selbst.

Der Deckel drauf ist fürs Gelingen essentiell. Er hält die Flüssigkeit im Topf und schafft durch den entstehenden Dampfkreislauf eine zusätzliche Wärmequelle, die das Gargut gleichmäßig einlullt. Apropos einlullen: Nach allem, was wir wissen, findet derlei in der Hölle gerade nicht statt. Inmitten wilder Flammen und weißer Glut hocken der Teufel samt diverser Dämonen und machen die armen Sünder nach allen Regeln der Kunst fertig – nicht umsonst spricht man von Höllenqualen. Angesichts der geradezu tiefenentspannten Garmethode des Schmorens, bei einer Temperatur, die kaum der Rede wert ist, hängt das Bild des »in der Hölle Schmorens« doch gewaltig schief.

Mit einiger Hartnäckigkeit wird immer wieder behauptet, Fleisch würde beim Schmoren Flüssigkeit aufnehmen, was definitiv Quatsch ist, tatsächlich passiert das Gegenteil. Wenn Sie mit Schmoren fertig sind (und Ihr Topf gut schließt), ist beträchtlich mehr Flüssigkeit im Topf als zu Beginn. Sofern keine Zauberkräfte walteten, kann dieser Zuwachs nur vom Fleisch stammen. Der abgegebene Fleischsaft vermischt sich mit dem Schmorsud zur Sauce, die Gelatine sorgt einerseits für deren sämige Bindung, andererseits »schmiert« sie die Fleischfasern, weswegen wir das Fleisch als saftig empfinden, obwohl es durch die Abgabe von Flüssigkeit de facto trockener wird.

Dass Fische zu schmoren keine gute Idee ist, liegt an deren praktisch nicht vorhandenem Bindegewebe. Nach meiner gefühlten Statistik sind acht von zehn Fischgerichten vollkommen übergart. Das Problem beim Fisch ist offenkundig nicht, ihn gar zu bekommen, sondern zeitig genug auszusteigen. Um ihn erst kräftig anzubraten und dann noch in Flüssigkeit zu garen, müsste er zunächst eine gewisse Mindestgröße aufweisen. Dann bliebe immer noch das Problem, dass er lediglich Flüssigkeit abgibt, ohne im Gegenzug Gelatine zu entwickeln, sprich: Er würde nur trocken und damit genau das, was Fisch lieber nicht werden soll.

Schmorgerichte

Wenn Sie das Prinzip kapiert haben, können Sie beim Schmoren recht frei improvisieren – es ist alles erlaubt und die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Ihr Essen über die Maßen gut schmeckt. Dessen ungeachtet gibt es natürlich eine ganze Reihe von Klassikern des Schmorfaches:

  • Gulasch, mit all seinen zahllosen Variationen, etwa dem ruhmreichen Bœuf bourguignon der französischen oder dem Stoofvlees der belgischen Küche
  • Der deutschlandweit gern gegessene Sauerbraten, die nicht minder beliebten Rindsrouladen und das unverwüstliche Ochsenschwanzragout
  • Aus der italienischen Küche Ossobuco und Ragù alla bolognese
  • Coq au vin, um auch die Geflügelwelt wieder ins Spiel zu bringen
  • Daube provençale, meist aus Wildschwein zubereitet
  • Tajines der nordafrikanischen Küche

1 Die meisten Backöfen heizen sehr ungenau. Versuchen Sie den Temperaturwert zu ermitteln, bei dem die Flüssigkeit so gerade eben ein bisschen vor sich hinblubbert, sie soll keinesfalls entfesselt kochen.

Kontext

1 Kommentar

  • Fritz Assenbaum # 1 – 20.11.22, 10:23 Uhr

    …nicht zu vergessen, der Elsässer Baeckeoffe

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