Waldmeister
- EN (sweet) woodruff
- FR aspérule (odorante)
- ES rubilla
- IT asperula
»Deutscher Waldmeister! / Du Kraut des Mai, zum Maitrank gieß ich Wein auf / Daß deinen Duft befreien des Weines Geister«, schwärmt der Botaniker und Dichter Karl Friedrich Schimper ganz im Sound des 19. Jahrhunderts. Die postromantische Bundesrepublik sah die Sache freilich nüchterner und untersagte 1974 die Verwendung von Waldmeister (Galium odoratum) zur Aromatisierung von Limonaden, Süßwaren und anderen Produkten, die vorwiegend von Kindern verzehrt werden. Grund dafür ist der Inhaltsstoff Cumarin, der ziemlich übel beleumundet ist.1 Waldmeistergeschmack, den Sie von industriell hergestellter Götterspeise und Ähnlichem kennen, stammt also stets aus dem Labor. Zwar ist es nach wie vor erlaubt, das frische Kraut unter die Leute zu bringen und es hindert Sie natürlich auch keiner daran, es selbst anzupflanzen, der schlechte Ruf hat aber offenbar dazu geführt, dass Waldmeister im Handel wirklich rar geworden ist und Sie in den meisten Fällen um den Gang in einen geeigneten Wald nicht herumkommen.
Den Waldfernen quälen spätestens jetzt einige Fragen. Was ist ein geeigneter Wald? Wo finde ich Waldmeister in ihm? Woran erkenne ich den überhaupt? Kann ich ihn mit anderen, noch übler beleumundeten Pflanzen verwechseln? Kann es sogar passieren, dass ich umsonst in den Wald gehe, weil da gar kein Waldmeister ist?
Dröseln wir es also auf. »Kraut des Mai« grenzt die optimale Terminierung recht präzise ein, regional und abhängig vom Klima kommen außerdem die zweite April- und die erste Junihälfte in Frage, Juli bis März können Sie streichen. Gute Aussichten bieten Laub- oder Mischwälder, zumal solche mit Buchenbeständen, während reine Nadelwälder nahezu sicher keinen Waldmeister enthalten. Strategisch sinnvoll ist es, schattige, aber nicht zu dunkle Zonen aufzusuchen und Ihrer Nase zu trauen. Wenn Sie unversehens ein schwüler, süßlich-betörender Duft anweht, handelt es sich entweder um überparfümierte Spaziergänger oder um Waldmeister. Im letzteren Fall scannen Sie den umliegenden Waldboden nach Teppichen von kleinen Quirlen. So diese bereits blühen, ist die zweifelsfreie Bestimmung noch leichter: Die Blüten sind markant und bestehen aus vier weißen, rechtwinklig zueinander stehenden, pfeilartig nach außen zeigenden Blättern.
Waldmeister mit anderen Kräutern – beispielsweise Waldlabkraut – zu verwechseln, ist wohl möglich, doch kein Grund zur Sorge. Auch wenn die Waldmeister-Teppiche süß-vanillig duften, ist die frische Einzelpflanze eher geruchlos. Sein charakteristisches Aroma entwickelt Waldmeister frühestens beim Zerreiben der Blätter, häufiger aber erst Stunden später im Lauf des Welkens, dann dafür umso deutlicher. Im Umkehrschluss: Riecht die welkende Pflanze nicht aufs Intensivste nach Waldmeister, dann ist es keiner und ein weiterer Waldgang nicht zu vermeiden.2
Nehmen wir optimistisch an, Sie haben Waldmeister nicht nur gefunden, sondern er hat sich auch als solcher entpuppt, müssen Sie ihn nur noch in eine konsumierbare Form bringen. Was in praktisch allen Fällen darauf hinausläuft, dass Sie seinen Geschmack zunächst an eine Flüssigkeit übergeben:
- 1 l Wasser
- 1 kg Zucker
- 5 unbehandelte Zitronen
- 8 – 10 welke Waldmeisterquirle
Zucker und Wasser kochen, bis sich der Zucker aufgelöst hat und der Sirup vollständig klar geworden ist.
4 Zitronen ungeschält in Scheiben schneiden und in den Sirup geben, dabei den Saft vor dem Hineinlegen leicht über dem Sirup auspressen. Die fünfte Zitrone auspressen und ihren Saft ebenfalls in den Sirup geben. Sirup nochmal kurz aufkochen, vom Herd ziehen und ein paar Minuten abkühlen lassen.
Die Waldmeisterquirle zu einem Sträußchen binden und in den Sirup legen.
Sirup abgedeckt ca. 12 Stunden kühl ziehen lassen.
Durch ein Tuch passieren und in Flaschen abfüllen.
Mit dem Sirup lässt sich alles aromatisieren, was Sie gerne nach Waldmeister schmeckend hätten. Einen Schuss davon ins Mineralwasser ist schon mal nicht schlecht, mit Sekt aufgießen ist noch besser und wenn es Sie beim Gedanken an grün gefärbte Berliner Weiße nicht schüttelt, dann versuchen Sie eine zivilisierte Variante, indem Sie einen Schluck ins Bier geben. Dass Waldmeistergeschmack auch in Eis, Puddings, Gelees und Cremes eine prima Figur macht, dürfte jedem bekannt sein. Nicht zu vergessen den Klassiker:
- 1 Flasche trockener Riesling
- 1 Flasche trockener Sekt
- 6 – 8 welke Waldmeisterquirle
- nach Belieben: ein paar Spritzer des obigen Waldmeistersirups
Den Riesling in ein geeignetes Gefäß geben und den Waldmeister in den Wein legen. Optional mit Waldmeistersirup anreichern.
Mischung abdecken und 6 – 8 Stunden kalt stellen.
Durch ein Tuch passieren und mit gekühltem Sekt aufgießen.
1 »Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist«, lautet die bekannte Erkenntnis von Paracelsus, die auch fürs Cumarin gilt. Normalerweise werden Sie Waldmeister nicht annähernd in Mengen konsumieren, von denen Sie ernsthaft zu Schaden kommen. Waldmeistersüchtige und Hypochonder sollten indessen vielleicht lieber auf »naturidentische« Industrieprodukte ausweichen.
2 Falls alles geklappt hat, merken Sie sich die Stelle. Netterweise wird der Waldmeister dort in den nächsten Jahren zuverlässig wiederkehren. Den Platz geheim zu halten ist übertrieben. Sie brauchen nicht viel von dem Kraut und der Andrang tendiert normalerweise gegen null.
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